Einführung

Werner Schultheiß / Hartmut Frommer *

* Die historische Einleitung zu den Loseblattausgaben des Stadtrechts wurde 1939 ("Die geschichtliche Entwicklung des Nürnberger Ortsrechts"), 1957 und 1972 ("Geschichte des Nürnberger Ortsrechts", 1. und 2. Auflage) von Archivdirektor Dr. jur. Werner Schultheiß besorgt. Sie ist für die Internet-Ausgabe der Jahrtausendwende von Stadtrechtsdirektor Dr. jur. utr. Hartmut Frommer durchgesehen und im Teil IV (seit 1806) neu bearbeitet worden.



"Dez ersten habent die purger von dem rat gesetzet, daz ... " und "Ez verbietent auch unser herren von dem rat, daz..." beginnen viele Vorschriften in den ältesten Gesetzbüchern Nürnbergs aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts.

Wer diese alten Gesetzessammlungen mit dem gegenwärtigen Ortsrecht vergleicht, wird auf den ersten Blick den ungeheuren Fortschritt sehen, den eine deutsche Stadt, getragen vom Strom der Zeit, innerhalb von sieben Jahrhunderten verzeichnen kann. Auffällig ist sofort der Unterschied zwischen damals und heute: in der Vergangenheit nur patriarchalische Vorschriften auf einzelnen Lebensgebieten, wo es not tat, in der Gegenwart jedoch eine umfassende Reglementierung des menschlichen Lebens von der Wiege bis zum Grabe durch Staat und Gemeinde. Dies ist nicht zu verwundern, da Nürnberg um 1300 wohl noch nicht einmal zehntausend Einwohner gezählt hat, während es heute fast eine halbe Million beherbergt und betreut. Bis 1806 war Nürnberg als Glied des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ein Stadtstaat, der seit dem 14. Jahrhundert Rechtsprechungs- und Gesetzgebungshoheit besaß. Heute ist Nürnberg eine bayerische Stadt, die nur im eigenen und übertragenen Wirkungskreis innerhalb des Stadtgebietes Satzungen und Verordnungen zu schaffen vermag, während Legislative und Judikative dem Freistaat Bayern und der Bundesrepublik Deutschland zusteht. Trotz dieser grundlegenden Verschiedenheiten spannt sich zwischen beiden Epochen ein verbindender Bogen. Wer die alten, glücklicherweise erhaltenen Gesetze aufmerksam liest, wird überrascht erkennen, dass ihre Bestimmungen auf dem Gebiete des Nahrungsmittel-, Bau- und Feuerschutzwesens den heutigen Vorschriften ähneln. Dies erinnert daran, dass das moderne Wirtschaftsverwaltungs- und Sicherheitsrecht in den Städten des ausgehenden Mittelalters entwickelt worden ist.


Nürnberg kann wie die meisten älteren deutschen Orte auf sieben bis acht Jahrhunderte Entwicklung von Stadtverfassung und Stadtrecht zurückblicken. Nachdem sich Augsburg 1276 ein Satzungsbuch geschaffen hatte, folgte Nürnberg 1302 als zweiter Ort des heutigen Bayern nach, während München erst um 1310 und Regensburg 1320 dasselbe taten. Schon immer ist auf die bemerkenswerten juristischen Leistungen Nürnbergs da und dort im fachlichen und örtlichen Schrifttum hingewiesen worden. Doch fehlt bis jetzt noch eine zusammenfassende Darstellung der Verfassungs- und Rechtsgeschichte Nürnbergs, so dass Nürnbergs Bedeutung auf diesem Gebiet noch nicht allgemein und hinreichend gewürdigt worden ist. Dieser Mangel hat verschiedene Ursachen: vor allem bietet Nürnberg eine solche Fülle von Quellen, die auf verschiedene Archive verteilt sind. Daher sind die noch notwendigen Untersuchungen nur mit großen Schwierigkeiten durchzuführen. Gerade deshalb erscheint es notwendig wie bei den letzten Auflagen des Nürnberger Ortsrechtes auch dieses Mal eine historische Einleitung vorauszuschicken, die auf Grund der bisher geleisteten Arbeit einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung gibt und zu wünschenswerter Ausfüllung der Lücken anregt. Wenn auch der Überblick noch unvollständig sein muß, so mag er doch zur Erkenntnis beitragen, dass Nürnberg auf rechtsgeschichtlichem Gebiet nicht nur die allgemein typische Entwicklung einer deutschen Großstadt aufweist, sondern auch bedeutender Mittelpunkt des Rechtslebens in Süddeutschland gewesen ist und einen beachtenswerten Einfluß auf das deutsche Recht ausgeübt hat.

Die folgenden Ausführungen konnten im Rahmen einer Einführung in die Nürnberger Rechtsgeschichte nicht mit Anmerkungen quellenmäßig belegt werden. Doch wurde, um die Unterlagen für diesen Überblick bekanntzumachen und die weitere Erforschung der Nürnberger Rechtsgeschichte zu erleichtern, im Anhang das wichtigste bis 1972 erschienene Schrifttum zusammengestellt und für die Folgezeit auf die einschlägigen Artikel im Stadtlexikon Nürnberg (hrsg. von M. Diefenbacher und R. Endres, Nürnberg 1999) verwiesen.

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