Nr. 1343 / 06.12.2023
Die Unesco hat am Mittwoch, 6. Dezember 2023, die traditionelle Bewässerung der Wässerwiesen zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Die jahrhundertealte landwirtschaftliche Kulturtechnik wurde von Belgien, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Deutschland zur Aufnahme in die Unesco-Liste vorgeschlagen. Der Zwischenstaatliche Ausschuss zum Immateriellen Kulturerbe tagt noch bis Samstag, 9. Dezember, in Kasane, Botswana.
Oberbürgermeister Marcus König freut sich über die Entscheidung und sagt: „Nürnberg hat ein reiches kulturelles Erbe. Seit dem Mittelalter ist die traditionelle Bewässerung der Wässerwiesen belegt und zeugt davon, dass auch hier schon lange, bevor es die Kategorie ‚Nachhaltigkeit‘ gab, nachhaltig gewirtschaftet und Landwirtschaft betrieben wurde. Die Aufnahme dieser Technik in die Unesco-Liste des Immateriellen Kulturerbes ist auch Verpflichtung für die Kommunen, die Wässerwiesen zu unterstützen und zu erhalten.“
„Wir freuen uns sehr darüber, dass auch die Wässerwiesen auf unserem Nürnberger Stadtgebiet, die Landwirte seit dem Mittelalter auf traditionelle Weise bewässern, in die Unesco-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurden“, so Nürnbergs Umweltreferentin Britta Walthelm. „Durch die Bewässerung haben diese Wiesen einen positiven Einfluss auf die Umwelt und auf das Klima. Tatsächlich kühlen die Wiesen die im Sommer zunehmend überhitzte Stadt.“ Bis heute werden landwirtschaftliche Flächen durch die Nutzung der Schwerkraft bewässert. Diese nachhaltige und auf Kooperation basierende Wasserversorgung ist für den Menschen und die biologische Vielfalt von großer Bedeutung. Bewässerungsgemeinschaften leiten Wasser aus Flüssen und Kanälen auf Felder und Wiesen um. Dafür werden vorübergehend kleine Gräben ausgehoben oder das Wasser aufgestaut, um künstliche Überläufe zu schaffen.
Die traditionelle Bewässerung basiert auf einem umfassenden Verständnis der Landschaft, des Wasserflusses und der Wetterbedingungen. Dieses Wissen bezieht alle natürlichen und technischen Faktoren ein und wird von Generation zu Generation weitergegeben. In Deutschland ist diese Form der Bewässerung unter anderem entlang der Flüsse Rednitz, Regnitz und Wiesent in Franken sowie im Gebiet der Queich in Rheinland-Pfalz bis heute lebendig.
Die Bewässerung dient hauptsächlich dazu, trockene Gebiete zu kultivieren. Neben dem landwirtschaftlichen Nutzen hat diese nachhaltige Technik aber auch positive Effekte für die Biodiversität. So entwickeln sich in den wechselfeuchten Wiesen kleinteilige Strukturen mit großer Artenvielfalt. In Deutschland bieten diese Kulturlandschaften etwa dem Weißstorch Nahrung und Lebensraum.
„Der Prozess der Bewerbung war mit einem regen Austausch zwischen den Trägergruppen in Europa, gegenseitigen Besuchen, und dem Entstehen persönlicher Freundschaften verbunden. Dies stärkte das Bewusstsein für diesen gemeinsamen kulturellen Schatz, den es zu bewahren gilt. Gleichzeitig reifte die Erkenntnis, dass die traditionelle Bewässerung nicht nur in der Vergangenheit eine existenzielle Bedeutung hatte, sondern auch wesentlich zur Lösung von gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen beitragen kann, wie zum Beispiel beim Hochwasserschutz, beim Klimaschutz, beim Landschaftswasserhaushalt und beim Schutz der Biodiversität. Wir sind glücklich, dass Deutschland mit den Queichwiesen in der pfälzischen Rheinebene und der Wiesenbewässerung in Franken im Raum Nürnberg und Forchheim gleich mit zwei Regionen an diesem von der Unesco zum Kulturerbe der Menschheit erhobenen Immateriellen Kulturerbe vertreten ist“, betont der Koordinator der Interessengemeinschaft Queichwiesen, Pirmin Hilsendegen.
„Die traditionelle Bewässerung ist eine Quelle der regionalen Identität und der kulturellen Erinnerung. Wässerwiesen als Zeugnis jahrhundertelanger Anpassungen an einen steten Wandel sind lebendige Beispiele für ein ausbalanciertes Gleichgewicht zwischen Natur und Mensch und Wegweiser für nachhaltiges Handeln heute und morgen“, ergänzt Dr. Roland Lindacher stellvertretend für die Trägerschaften in Franken.
Das Wissen und Können der traditionellen Bewässerung wird mündlich wie schriftlich übermittelt. Dazu zählen etwa Kenntnisse über den Bau und die Wartung von Kanälen, Gräben und Rinnen, Erfahrungen zu Bewässerungszeiten und -mengen sowie über die Richtlinien zur Wasserverteilung, die in sogenannten Wasser- oder Kehrordnungen zusammengefasst sind.
„Die Entscheidung der Unesco zeigt, wie wichtig es ist, sich über Ländergrenzen hinweg für die nachhaltige Nutzung unserer natürlichen Ressourcen einzusetzen. Die Traditionelle Bewässerung ist ein lebendiges Erbe, das einen entscheidenden Beitrag dazu leistet, die biologische Vielfalt unserer Kulturlandschaften zu erhalten. Ich gratulieren allen, die sich für den Erhalt dieser Kulturtechnik stark machen, zu ihrem Erfolg“, erklärt der Vizepräsident der Deutschen Unesco-Kommission Christoph Wulf.
Hintergrund
Zum Immateriellen Kulturerbe zählen lebendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Die Unesco unterstützt den Schutz, die Dokumentation und den Erhalt gelebter Kultur seit 20 Jahren. Das Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes wurde 2003 von der Generalkonferenz der Unesco in Paris verabschiedet. Bis heute haben 181 Staaten den Vertrag ratifiziert. Deutschland gehört der Unesco-Konvention seit 2013 an.
Einzelne Elemente aus den nationalen Verzeichnissen des Immateriellen Kulturerbes der Vertragsstaaten können für eine von drei internationalen Unesco-Listen vorgeschlagen werden. Rund 700 Bräuche, darstellende Künste, Handwerkstechniken und Formen des Naturwissens aus aller Welt werden derzeit auf diesen Listen geführt, darunter der Tango aus Argentinien und Uruguay, die traditionelle chinesische Medizin, Reggae aus Jamaika und die Praxis des modernen Tanzes in Deutschland.
Der Zwischenstaatliche Ausschuss zum Immateriellen Kulturerbe entscheidet jährlich über die Aufnahme neuer Kulturformen in die Unesco-Listen. Das Gremium setzt sich aus 24 gewählten Vertragsstaaten der Konvention zusammen, darunter Deutschland. let