Nr. 1007 / 21.09.2025
Die Israelin Robi Damelin und die Palästinenserin Laila AlSheikh von der israelisch-palästinensischen Versöhnungsinitiative Parents Circle – Families Forum (PCFF) sind am heutigen Sonntag, 21. September 2025, mit dem Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis ausgezeichnet worden. PCFF bringt seit 1995 israelische und palästinensische Familien zusammen, die durch den Nahostkonflikt ein Familienmitglied verloren haben, und bietet Bildungsprogramme und Aktivitäten zur Trauerbewältigung. Den Preis haben Oberbürgermeister Marcus König und Jury-Mitglied Noa Karavan-Cohen, die auch die Laudatio auf die Preisträgerinnen hielt, überreicht. Die 16. Verleihung der mit 25 000 Euro dotierten Auszeichnung fand im voll besetzten Opernhaus des Nürnberger Staatstheaters vor rund 1 000 Gästen statt.
„Angesichts des Terrors am 7. Oktober 2023 und der Verheerungen im Gazastreifen mag es viele Menschen verwundern, wenn nicht sogar irritieren, von Freundschaft und Annäherung zwischen Israelis und Palästinensern zu sprechen. Aber es gibt sie, die jüdisch-palästinensischen Freundschaften, die Mitglieder von Parents Circle – Families Forum geben uns dieses Beispiel“, sagte Oberbürgermeister Marcus König zur Eröffnung des von der Staatsphilharmonie Nürnberg unter Leitung des Generalmusikdirektors Roland Böer musikalisch umrahmten Festakts.
„Welch eine Größe, welch ein Humanismus, angesichts des Verlusts eines geliebten Menschen, nicht selten des eigenen Kindes, auch die Trauer und das Leid der anderen zu sehen, die Hand auszustrecken und aus der Freund-Feind-Logik auszubrechen!“, fuhr das Stadtoberhaupt fort. „Den gemeinsamen Willen, über alle Verletzungen hinweg nicht aufzugeben, im Gespräch zu bleiben, Brücken für Versöhnung und Frieden zu bauen, dieses Zeichen sendet Parents Circle – Families Forum auch in unsere Gesellschaft hinein, wenn Jüdinnen und Juden wieder einmal Angst haben müssen, ihren Glauben zu leben und ihre Identität zu zeigen. Und wenn muslimische Bürgerinnen und Bürger erleben, wie sie unter Generalverdacht gestellt und mit Hass überzogen werden.“
In einem Videogruß sagte Steffen Seibert, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel: „Ich habe mich sehr gefreut, als ich erfuhr, dass Parents Circle diese hohe Auszeichnung bekommt. Einige der Menschen, die diese Organisation tragen, habe ich hier im Laufe meiner Jahre als Botschafter kennengelernt und sie gehören zu denen, die mir immer wieder Hoffnung machen, die mich immer wieder doch an eine bessere Zukunft glauben lassen.“
Weiter führt der Botschafter aus: „Die Umstände, unter denen diese Frauen und Männer ihr Liebstes verloren haben, sind unterschiedlich und auch nicht unbedingt gleichzusetzen. Gleichzusetzen ist der Schmerz, das Loch im Herzen, die Sehnsucht, das Kind noch einmal in den Armen zu halten. Gleichzusetzen ist die Frage, die sich für alle diese ihrer Kinder beraubten Eltern stellt. Wie weiterleben? Wie umgehen mit diesem Verlust? Wohin mit dem Schmerz? Und jetzt kommt das Entscheidende: Die im Parents Circle engagierten Israelis und Palästinenser haben allesamt eine Antwort gefunden. Sie sagen auf Hebräisch, wie auf Arabisch, die Antwort auf den Verlust des eigenen Kindes kann nicht Rache sein. Kann es nicht sein, nun auf der anderen Seite noch mehr Blut fließen zu sehen, das Töten in alle Ewigkeit zu verlängern. Die Antwort muss es sein, erst einmal auf andere zuzugehen, die ähnliches erlebt haben.“
Steffen Seibert in seiner Videobotschaft: „Danke der Stadt Nürnberg, dass sie diese mutigen Menschen auf ihrem Weg unterstützt. Danke für diesen Beitrag zur Versöhnung. Grade jetzt ist das ein Lichtblick.“
In ihrer Laudatio hob Jury-Mitglied Noa Karavan-Cohen hervor: „Parents Circle – Families Forum ist eine einzigartige Organisation, die israelische und palästinensische Hinterbliebene zusammenbringt, die Angehörige im Konflikt verloren haben. Anstatt zuzulassen, dass Trauer zu Hass erstarrt, haben sie sich dafür entschieden, ihren Schmerz in einen Katalysator für Versöhnung und Frieden zu verwandeln. Ihre Arbeit ist eines der mutigsten Beispiele für Hoffnung angesichts von Verzweiflung und für Menschlichkeit angesichts von Gewalt.“
In ihrer Dankesrede sagten die Preisträgerinnen Robi Damelin und Laila AlSheikh: „Wir glauben, dass jede Seele kostbar ist. Gott hat uns geschaffen, um einander zu lieben, nicht um uns gegenseitig zu töten. Wir sind für unsere Gemeinschaft verantwortlich. Wir können nicht tatenlos zusehen. Wir Palästinenser und Israelis müssen gemeinsam handeln, um Frieden zu erreichen.“
„Gemeinsam setzen sie sich für ein Ende des Blutvergießens ein und rufen zur Versöhnung auf. Ihr Engagement für die Förderung gewaltfreier Lösungen des Konflikts ergibt sich aus der gemeinsamen Erfahrung des Verlusts“, betont die internationale Preis-Jury in ihrer Begründung. Auch nach dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 setzt PCFF die Bereitschaft zum Dialog konsequent fort – trotz verstärkter Proteste gegen ihre Arbeit. Die Organisation hat es mit Hilfe ihrer Mitarbeitenden und ihrer Mitglieder geschafft, über Online-Formate in Kontakt zu bleiben, laufende Verständigungsprogramme und ihre Social-Media-Aktivitäten weiterzuführen.
PCFF fördert den Dialog und baut Brücken. Ihr Engagement fußt auf der Überzeugung, dass Verständnis und Empathie Feindseligkeit überwinden können. Die Mitglieder stehen in ihrer Trauer zusammen und bieten Bildungsprogramme an, die Empathie zwischen Israelis und Palästinensern fördern. In einem Begegnungsformat, dem sogenannten Dialogtreffen, teilen eine Israelin oder ein Israeli sowie eine Palästinenserin oder ein Palästinenser mit dem Publikum ihre Geschichte des Verlusts – und damit auch ihre mutige Bereitschaft zur Versöhnung. Mit diesem Angebot, das auch Schulklassen in Anspruch nehmen, hat PCFF in den vergangenen zwanzig Jahren über 250 000 Menschen erreicht.
Im Anschluss an den Festakt begleitete Oberbürgermeister Marcus König Robi Damelin und Laila AlSheikh zur traditionellen Friedenstafel. Rund 4000 Bürgerinnen und Bürger feierten hier ihre Preisträgerinnen. Die von der Stabsstelle Menschenrechtsbüro & Gleichstellungsstelle und dem Amt für Kultur und Freizeit der Stadt Nürnberg organisierte Veranstaltung lädt seit 1999 Nürnbergs Bürgerschaft dazu ein, ein Zeichen für Frieden, Toleranz und die Achtung der Menschenrechte weit über die Grenzen der Stadt hinaus zu setzen.
Im Bewusstsein der Verantwortung, die ihr aus der NS-Zeit erwachsen ist, hat die Stadt Nürnberg als Antwort auf die Menschenrechtsverletzungen jener Jahre 1995 den Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis ins Leben gerufen. Seitdem honoriert sie alle zwei Jahre den mutigen Einsatz von Aktivistinnen und Aktivisten, die sich zum Teil unter erheblichen persönlichen Risiken für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen. Damit will die Stadt Nürnberg einen Beitrag zur weltweiten Achtung der Menschenrechte leisten und dazu ermutigen, sich für Menschenrechte zu engagieren und diejenigen zu schützen, die sie verteidigen. Inspiriert wurde der Preis von der „Straße der Menschenrechte“, die der Künstler Dani Karavan in Nürnberg geschaffen hat. fra
Weitere Informationen online unter
www.menschenrechte.nuernberg.de
https://www.theparentscircle.org/en/homepage-en/