Nr. 932 / 26.09.2016
Der Internationale Nürnberger Menschenrechtspreis 2017 geht an die „Gruppe Caesar“, die unzählige Fotos von in syrischen Gefängnissen zu Tode gefolterter Menschen veröffentlicht hat. Dies hat die internationale Jury unter Vorsitz von Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly einstimmig beschlossen. Hinter der Gruppe steht ein ehemaliger syrischer Militärfotograf mit dem Decknamen „Caesar“. „Caesar“ und seine Mitstreiter wollen dafür sorgen, „dass die dokumentierten Menschenrechtsverbrechen nicht straflos bleiben. Dafür nahmen sie große Gefahren auf sich“, so die Jury in ihrer Begründung. Die zwölfte Verleihung der mit 15 000 Euro dotierten Auszeichnung findet am Sonntag, 24. September 2017, im Nürnberger Opernhaus statt.
„Caesar“ lebt heute versteckt in Europa und wird den Preis nicht persönlich entgegennehmen können. Der im Januar 2014 erschienene Bericht einer Untersuchung, die von ehemaligen Chefanklägern internationaler Strafgerichte geführt wurde, bestätigte, dass seine „Beweise verlässlich waren und in jedem nachfolgenden Prozess ohne Risiko verwendet werden könnten“. Human Rights Watch bestätigte die Echtheit der Fotos in dem im Dezember 2015 veröffentlichten Bericht „Wenn die Toten sprechen könnten. Massenmorde und Folter in syrischen Gefängnissen.“ „Mit der Entscheidung für ‚Caesar‘ knüpft die Jury an das Erbe von Nürnberg an: Schwere Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht straffrei bleiben. Die Täter müssen sich vor Gericht verantworten“, betonte Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly bei der Bekanntgabe der Entscheidung.
Nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 hatte „Caesar“ den Auftrag, Leichen von zu Tode gefolterten Oppositionellen zu fotografieren und die Bilder zu archivieren. Die Aufnahmen dienten dem Regime als Beweis, dass die Befehle zur Tötung tatsächlich ausgeführt worden sind. Bis zu seiner Flucht mit seiner Familie im August 2013 kopierte er die Bilder, die er außer Landes brachte – mit dem Ziel, die Verbrechen an den Gefangenen, die ihn nicht mehr losließen, an die Öffentlichkeit zu bringen. Insgesamt handelt es um über 50 000 Fotos, darunter 28 000 Bilder von Gefangenen, die in syrischen Gefängnissen durch Folter, Hinrichtungen, Krankheit, Unterernährung oder andere Misshandlungen getötet worden waren. Die Aufnahmen wurden im Januar 2014 im Internet veröffentlicht.
Die Jury spricht ihre „Anerkennung auch der Entschlossenheit und Beharrlichkeit der investigativ tätigen französischen Journalistin Garance Le Caisne aus“. Nachdem sie von den Fotos erfahren hatte, recherchierte sie monatelang und konnte über einen Vertrauten „Caesars“ Kontakt zu ihm aufnehmen. Aus den Interviews mit ihm und weiteren ehemaligen syrischen Häftlingen entstand ihr Buch „Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie“, das die systematische Folter in Syrien dokumentiert. Ihr Ziel war es, eine genaue Studie der Verbrechen vorzulegen, die eines Tages als Grundlage für ein Verfahren vor einem internationalen Gerichtshof dienen soll. „Mit der Verleihung des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises an die ‚Gruppe Caesar‘ will die Jury auch an die Geschichte Nürnbergs als Wiege des modernen Völkerstrafrechts anknüpfen“, wie es in der Begründung weiter heißt.
Laut eines Berichts von Amnesty International vom August 2016 sollen allein in syrischen Gefängnissen seit 2011 mehr als 17 700 Menschen getötet worden sein. „Im syrischen Bürgerkrieg werden extreme Menschenrechtsverletzungen von allen Konfliktparteien begangen. Folter und andere Formen grausamer und unmenschlicher Behandlung sowie Bestrafung sind in internationalen Menschenrechtsabkommen, etwa der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen von 1984 vollständig und ausnahmslos verboten. Trotz der Ratifizierung durch 147 Staaten wird systematische Folter in mehr als 100 Ländern angewandt, vor allem in solchen, in denen Diktatoren oder autoritäre Regime herrschen“, so die Jury.
Seit 1995 vergibt die Stadt Nürnberg alle zwei Jahre den Preis an Personen, die sich zum Teil unter erheblichen persönlichen Risiken für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen. Er ist laut Satzung ein Symbol dafür, dass von Nürnberg, der einstigen Stadt der nationalsozialistischen Reichsparteitage und der menschenverachtenden NS-Rassegesetze, „in Gegenwart und Zukunft nur noch Signale des Friedens und der Völkerverständigung ausgehen“. Neben Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly sind weitere prominente Mitglieder der international besetzten Jury Hina Jilani, Prof. Dr. Maurice Glèlè-Ahanhanzo, Irina Bokowa, Dani Karavan, Hilal Elver, Shirin Ebadi, Dr. Sonia Picado, Anne Brasseur und Dr. Gareth Evans.
Die bisherigen Preisträger sind 1995 Sergej Kowaljow (Russland), 1997 Khémaïs Chammari (Tunesien) und Abe J. Nathan (Israel), 1999 Fatimata M’Baye (Mauretanien), 2001 Bischof Samuel Ruíz García (Mexiko), 2003 Teesta Setalvad (Indien) und Ibn Abdur Rehman (Pakistan), 2005 Tamara Chikunova (Usbekistan), 2007 Eugénie Musayidire (Ruanda), 2009 Abdolfattah Soltani (Iran), 2011 Hollman Morris (Kolumbien), 2013 Kasha Jacqueline Nabagesera (Uganda) und 2015 Amirul Haque Amin (Bangladesch). maj
Die Begründung der Jury und eine Kurz-Biografie der Preisträger 2017 gibt es unter
www.menschenrechte.nuernberg.de.
Weitere Informationen unter
https://www.hrw.org/report/2015/12/16/if-dead-could-speak/mass-deaths-and-torture-syrias-detention-facilities
http://static.guim.co.uk/ni/1390226674736/syria-report-execution-tort.pdf
Die Begründung der Jury
PDF-Datei,
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Kurz-Biografie der Preisträger 2017
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