DEU , DEUTSCHLAND : Die Goettin Justitia auf dem Roemerberg in Frankfurt DEU , GERMANY : The Justitia goddess in Frankfurt 18.06.2014

DEU Germany the Goddess Justitia on the Roemer mountain in Frankfurt DEU Germany The Justitia Goddess in Frankfurt 18 06 2014

Stadtrecht Nürnberg

IV. Nürnberg als bayerische Stadt (seit 1806)

4. Entwicklung des Nürnberger Stadtrechts

Hartmut Frommer *

* Die historische Einleitung zu den Loseblattausgaben des Stadtrechts wurde 1939 ("Die geschichtliche Entwicklung des Nürnberger Ortsrechts"), 1957 und 1972 ("Geschichte des Nürnberger Ortsrechts", 1. und 2. Auflage) von Archivdirektor Dr. jur. Werner Schultheiß besorgt. Sie ist für die Internet-Ausgabe der Jahrtausendwende von Stadtrechtsdirektor Dr. jur. utr. Hartmut Frommer durchgesehen und im Teil IV (seit 1806) neu bearbeitet worden.



    Während die Verfassung der Reichsstadt 1806/1808 vollständig aufgehoben und das Verwaltungsrecht nach und nach durch bayerisches Recht ersetzt wurde, blieb die Geltung des übrigen Stadtrechts vorläufig unangetastet. Der bayerische Staat beließ auch in den übrigen, neu erworbenen Landesteilen den bisherigen Zustand in der Hoffnung, in Bälde für das ganze Königreich moderne und einheitliche Gesetze schaffen zu können. Zunächst wurde aber nur 1808/10 die bayerische Gerichtsorganisation und 1813 das fortschrittliche, von Anselm Feuerbach ausgearbeitete Bayerische Strafgesetzbuch eingeführt. Feuerbach hat als nachmaliger Appellationsgerichtspräsident in Ansbach in der Angelegenheit des 1828 in Nürnberg aufgetauchten „Kind Europas" Kaspar Hauser eine herausragende Rolle gespielt.

    Dagegen erstreckte Bayern das Zivilrecht des "Codex Maximilianeus bavaricus civilis" von 1756 nicht auf Nürnberg und die fränkischen und schwäbischen Landesteile, da dieses wesentlich vom Recht der neu erworbenen Gebiete verschieden war. Doch forderten die Bedürfnisse des fortschreitenden Lebens die Beseitigung der Rechtsverschiedenheit für einzelne Sachgebiete und Institutionen. So erließ der bayerische Gesetzgeber einheitliches Zivilrecht im Judenedikt von 1813 (das durch Erteilung des Indigenats zu einer Verbesserung der Rechtsstellung führte) und im Hypothekengesetz von 1822. Außerdem schuf der Deutsche Bund 1861 das „Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch". Dass dieses 1857/58 und 1860/61 in Nürnberg beraten wurde, weist auf die Bedeutung hin, die der Stadt wegen ihres Handels und ihres vorbildlichen Handelsrechtes beigelegt worden ist. Sonst blieb zunächst das bisherige Recht in Geltung. Innerhalb der Stadtmauern richtete sich weiterhin die Einwohnerschaft nach der Reformation von 1564, ihren Additionaldekreten, und subsidiär mangels eigener Bestimmungen nach dem gemeinen Recht. Im Burgfrieden, d. h. in den eingemeindeten Vororten, waren maßgebend das 1796 eingeführte Allgemeine Landrecht für die preussischen Staaten und subsidiär Ansbacher oder anderes Provinzialrecht sowie letzten Endes wieder gemeines Recht. Unter diesen Umständen war früher in jedem Rechtsfall zu prüfen, nach welchem Recht Kläger und Beklagte lebten. Um diese schwierigen Ermittlungen zu vereinfachen, erschienen mehrere Werke mit solchen Übersichten. Amtliche Unterlagen verarbeitete Josef Peißl in seiner "Zivilgesetzstatistik des Königreichs Bayern" (1868).


      Über den Umfang des bis 1900 fortgeltenden Nürnberger Rechts unterrichtet zusammenfassend, aber kurz G. M. von Webers "Darstellung der sämtlichen Provinzial- und Statutarrechte des Königreichs Bayern" (Band II/2, 1839). Paul Roths "Bayerisches Civilrecht" (1. Aufl. 1871) bringt das Nürnberger Recht nicht wie Weber in einer geschlossenen Übersicht, sondern innerhalb der systematischen Darstellung des in Bayern geltenden Rechts im Zusammenhang mit den anderen Statutarrechten; außerdem stellt die 2. Auflage von Becher (1898) schon die alten Regelungen dem neuen Recht des ab 1900 geltenden Bürgerlichen Gesetzbuches gegenüber. Webers und Roths Werke sind als erste Information für denjenigen unentbehrlich, der sich mit altem Recht beschäftigen muß, und verleiteten dazu, das ehemalige Recht nicht nochmals zusammenfassend zu bearbeiten. Eine gewisse Ergänzung schuf der hiesige Großkaufmann Nürmberger, als er 1846 die wichtigsten Gewohnheiten (Usancen) des Handels- und Wechselrechts sammelte und veröffentlichte. Um Klarheit über die bestehenden Normen zu schaffen, verfaßten Fachleute seit 1880 im Nürnberger Adreßbuch Überblicke über einzelne Sachgebiete des täglichen Gebrauchs.

      Das Streben nach Rechtseinheit und der Wunsch nach Schöpfung einer modernen Kodifikation führten 1873 zur konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Reichs für das gesamte Privatrecht und - nach langen Beratungen - 1896 zum Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuches. Dieses hob durch Art. 55 des Einführungsgesetzes vom 01.01.1900 an die privatrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze auf, soweit nicht einzelne Institute im BGB und in diesem Gesetze zugelassen wurden. Das bayerische Überleitungsgesetz vom 9. Juni 1899 gab Richtlinien, wie und mit welchen Abänderungen die Vorschriften des ehelichen Güterrechts Alt-Nürnbergs nach neuem Recht zu behandeln seien. Die Währungsumstellung von 1948 hat dann die letzten noch bestehenden "Eigengelder", die aus der Erbleihe entstandene, zuletzt dinglich auf Immobilien gesicherte Geldrenten darstellten, beseitigt. Nachdem nun die Generation mit Güterständen vor 1900 abgestorben war, beschränkte sich die Anwendung des alten Rechts schließlich auf bestimmte Bereiche im Nachbar- und Baurecht. Diese letzten Überbleibsel altnürnberger Rechtes sind dann durch Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 des Bayerischen Rechtssammlungsgesetzes vom 10. November 1983 (GVBl. S. 1013) aufgehoben worden.


        Je mehr die Kenntnis des alten Nürnberger Rechtes schwand, desto stärker regte sich das Interesse der Historiker und Heimatfreunde. Diese Kreise gründeten 1878 den "Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg", der seitdem zahlreiche Veröffentlichungen zur Rechtsgeschichte auf den Weg gebracht hat. Ein Jahrzehnt später beschloß der Stadtmagistrat die Publikation der Nürnberger Urkunden und Rechtsquellen, besonders zu den Nürnberger Stadtrechtsreformationen, doch gelangten Stadtarchivar Mummenhoff über die Sammlung von Urkundenmaterial (-1427) und Reichsarchivrat Petz über die Abschrift von Rechtshandschriften nicht hinaus. Das Versäumnis konnte Nürnberg z. T. dadurch aufholen, dass die Stadt in einer Reihe "Quellen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg" 1951-59 das grundlegende "Urkundenbuch" (-1300), 1960 "Die Acht-, Verbots- und Fehdebücher von 1285-1400" und 1965 die Texte der "Satzungsbücher und Satzungen der Reichsstadt Nürnberg aus dem 14. Jh." herausbrachte. Die Erforschung der Nürnberger Rechtsgeschichte, die die reichsstädtische Universität Altdorf begonnen hatte, wurde durch die Universitäten, insbes. Erlangen-Nürnberg (Hans Liermann, Wolfgang Leiser, Gerhard Pfeiffer), Bayreuth (Rudolf Endres) und Würzburg (Hanns Hubert Hofmann) - sowie Staatsarchiv und Stadtarchiv (Emil Reicke, Werner Schultheiß, Gerhard Hirschmann) verstärkt aufgenommen und zeitigte erfreuliche Ergebnisse. Doch müssen noch manche Probleme gelöst werden, bis eine Verfassungs- und Rechtsgeschichte Nürnbergs geschrieben werden kann.

        Einen umfassenden Einblick in die Verwaltungsgeschichte Nürnbergs geben die Jahresberichte, die von 1827-1840 erhalten und von 1869 bis 1979 mit kurzen, kriegsbedingten Lücken gedruckt bzw. veröffentlicht sind. Die Bekanntmachungen der königlichen Stellen (1809-1818), des Magistrats (1818-1918), des Stadtrates bzw. Oberbürgermeisters (1918-1952), dann (seit 1952 als alleinige Behördenbezeichnung) der Stadt sind im Allgemeinen Intelligenzblatt der Stadt Nürnberg, seit 1874 "Amtsblatt der Stadt Nürnberg" publiziert.
        Streng genommen scheidet für eine Stadt in der modernen Staatstheorie eine eigenständige Rechtssetzung aus, da die Kommune insgesamt der Exekutive zugeordnet ist. Als (wie die Bayerische Verfassung betont: ursprüngliche) Körperschaft des öffentlichen Rechts kommt ihr jedoch im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten Autonomie zu, d. h. sie kann insbes. die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen durch Satzungen regeln (vgl. Art. 23, 24 der Bayer. Gemeindeordnung von 1952). Bei den zur Erledigung im Auftrag des Staates übertragenen Aufgaben sind die Kommunen zum Erlaß von (früher: Polizei-)Verordnungen ermächtigt (vgl. Art. 42 des Bayer. Landesstraf- und Verordnungsgesetzes i. d. F. von 1982). Allerdings gab (z. B. statutarische Bestimmungen nach der Reichsversicherungs- und der Gewerbeordnung) und gibt (örtliche Bauvorschriften nach der Bayer. Bauordnung) es auch Satzungen im übertragenen Wirkungskreis.


          Nachdem der Stadtmagistrat 1832 für das Staatsministerium des Innern die ungedruckten, ab 1799 ergangenen Erlasse von grundsätzlicher Bedeutung hatte sammeln müssen, veröffentlichte vier Jahre später der städtische Registrator Friedrich Müller als Privatarbeit eine "Sammlung der Local-Polizei-Ordnungen der k. b. Stadt Nürnberg" (2. Aufl. 1842). Wer diese Kodifikation Nürnberger Polizeivorschriften durchsieht und mit der Gegenwart vergleicht, muß feststellen, dass die Anordnungen biedermeierlich anmutende Zustände einer ruhig und in festen Bahnen dahinlebenden Stadt widerspiegeln. 1851 gab Johann Ettinger eine ähnliche „Sammlung der sämtlichen Localpolizei-Verfügungen Nürnbergs" heraus, wobei er den Stoff nach alphabetisch geordneten Schlagwörtern gliederte. Als Bayern 1861 ein Polizeistrafgesetzbuch schuf, konnte Nürnberg dazu Ausführungsbestimmungen erlassen. Diese wurden 1864 systematisch geordnet und mit Register versehen zusammen mit den verschiedenen Marktordnungen als "Ortspolizeiliche Vorschriften für die Stadt Nürnberg" gedruckt, Aber auch dieses Werk läßt noch im großen und ganzen das patriarchalische Leben der Stadt erkennen. Erst die unter gleichem Titel 1887 erschienene Sammlung weist auf die moderne, rasch vorwärtsdrängende Entwicklung der Stadt hin. Nunmehr nehmen die Satzungen für die gemeindlichen Anstalten und Unternehmen (Friedhöfe, Straßenbahn, Wasserwerk und Kanalisation) breiten Raum ein.

            Plakat der Wohlfahrtswerkstätten © Bild: Stadt Nürnberg

            Mehr noch kommt diese Wandlung zur Großstadt mit einer Vielzahl sozialer Aufgaben in den Neuauflagen von 1904, 1911, 1925/26 sowie in den laufend ergänzten Loseblattausgaben des „Ortsrechts der Stadt Nürnberg" von 1956 und 1971 zum Ausdruck. Eine böse Sonderstellung nimmt das (zwar als Loseblattausgabe angelegte, aber nie ergänzte) „Ortsrecht der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg" vom Juli 1939 ein. Nicht weniger als 32 Satzungen enthielten Regelungen zum Ausschluß der Juden von der Benutzung kommunaler Anstalten. Als „Führerstadt" erhoffte sich Nürnberg darin großdeutsche Vorbildwirkung.


              Im übrigen aber geben die Stadtrechtssammlungen einen vorzüglichen Überblick über den (bis vor wenigen Jahren ständig wachsenden) Umfang der kommunalen Tätigkeiten. Veröffentlicht werden hier nur Rechtsnormen, d. h. insbes. solche Bestimmungen, die das Verhältnis zwischen Gemeinde und Bürgern regeln, während die nur für den innerdienstlichen Bereich erlassenen Vorschriften seit 1961 im "Handbuch der Verwaltung der Stadt Nürnberg" zusammengefaßt worden sind. Seit 01.01.2000 wird das Ortsrecht der Stadt Nürnberg nicht mehr als Loseblattausgabe sondern im Internet (http//www.nuernberg.de) fortgeführt; das Stadtarchiv erhält jedoch in regelmäßigen Abständen Papierausdrucke.

              Im Rahmen dieser Skizze war es nur möglich, einen Überblick zur ersten Information zu geben. Begreiflicherweise konnte die Verflechtung Nürnbergs mit der Rechtsentwicklung Deutschlands nur angedeutet werden. Es galt zunächst einmal, die wechselvolle Entwicklung von Verfassung und Recht dieser Stadt zu erkennen: die Überwindung der königlichen Stadtherrschaft durch lokale Selbstregierung, die anerkennenswerte Organisation eines Stadtstaates, die vorbildliche Kodifikation des eigenen Rechtes, seit dem 17. Jahrhundert jedoch ein gewisses Erlahmen der Schöpferkraft der Verwaltung, der Verlust der Eigenstaatlichkeit im Jahre 1806 und seitdem starke staatliche (bayerische und später auch deutsche) Einwirkung auf die Stadt. Im 20. Jahrhundert stellte der moderne Wohlfahrts- und Sozialstaat Nürnberg vor die Aufgabe, die Gegenwartsprobleme einer Großstadt zu lösen, die schwer durch beide Weltkriege, Weltwirtschaftskrise und Nationalsozialismus litt. Als Reichsstadt hat Nürnberg Verdienste auf rechtlichem Gebiet aufzuweisen, die den Leistungen in Kunst und den anderen Zweigen der Wissenschaft ebenbürtig an die Seite zu stellen sind. Im übrigen wird man aus heutiger Sicht davon ausgehen, dass Nürnberg durch Goldene Bulle, Reichskleinodienfrage und die Nürnberger Reformation, die Juristen der Universität Altdorf, die Entwicklung des modernen Handelsrechts, die Affäre Kaspar Hauser, die Nürnberger Gesetze und die Nürnberger Prozesse wohl die tiefsten Spuren in der deutschen Rechtsgeschichte hinterlassen hat.