Nachrichten aus dem Rathaus

Nr. 1018 / 14.10.2020

Interview mit der Beauftragten für Diskriminierungsfragen

Ein kleiner Scherz über die Rocklänge, eine gedankenlose Bemerkung über religiöse Rituale oder eine bewusste rassistische Beleidigung – Diskriminierung hat viele Gesichter. Auch das Corona-Virus befördert diskriminierendes Verhalten und beschäftigt Christine Burmann, neue Beauftragte für Diskriminierungsfragen der Stadt Nürnberg, mehr und mehr.

Wo fängt diskriminierendes Verhalten an?
Christine Burmann: Beleidigungen, Bedrohungen oder Abwertungen zählen durchaus dazu. Um aber rechtlich von einer Diskriminierung zu sprechen, braucht es die Macht, jemanden aktiv von etwas ausschließen zu können. Etwa wenn ein Wohnungseigentümer nicht an jemanden vermietet, weil dieser einen ausländisch klingenden Namen hat. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) definiert seit 2006 den rechtlichen Rahmen: Niemand darf aufgrund von Alter, Geschlecht, Behinderung, Sexualität, Religion und Weltanschauung oder Herkunft benachteiligt werden. Vorurteile können natürlich Wegbereiter für diskriminierendes Verhalten sein.

Nicht nur Vorurteile, sondern auch ein Virus?
Christine Burmann: Ja, die wegen des Corona-Virus angeordnete Maskenpflicht in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr ist problematisch und beschäftigt auch mich. Es gibt ja Ausnahmen von dieser Pflicht, etwa aus gesundheitlichen Gründen oder wegen einer Behinderung. Ich habe viele Fälle auf dem Tisch, bei denen Menschen trotz attestierter Befreiung nicht in Geschäfte reingelassen worden sind oder auch sonst angefeindet wurden, weil sie keine Maske trugen. Ladenbesitzer berufen sich darauf, die Gesundheit der anderen Kunden schützen zu wollen. Aber es muss auch den Betroffenen freier Zugang zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens gewährleistet werden. Grundproblem ist, dass es bei diesem Thema noch keine rechtssichere Gerichtsentscheidung gibt. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat dank Corona jetzt schon so viele Fälle wie sonst im ganzen Jahr.

Sie sind zentrale Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger – mit welchen Problem kommen diese auf Sie zu?
Christine Burmann: Der Klassiker im Freizeitbereich ist immer noch, dass gerade Männer vermuten, dass sie wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer Herkunft nicht in eine Diskothek kommen. Oder dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe und/oder eines Zuwanderungshintergrunds auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt werden. Aber auch die soziale Lage kann zu struktureller Benachteiligung führen: Alleinerziehende Bezieher*innen von Grundsicherung haben fast keine Chance mehr, eine Wohnung zu ergattern. Im Jahr landen insgesamt etwa 200 Fälle bei mir, bei denen sich jemand diskriminiert fühlt. Eine große Herausforderung ist auch der Arbeitsmarkt: Bei mir melden sich Frauen mit befristeten Stellen, denen vorher noch eine Verlängerung in Aussicht gestellt wurde, dann aber wegen Schwangerschaft plötzlich nicht mehr.

Diskriminierung am Arbeitsplatz – was fällt da alles darunter?
Christine Burmann: Die Frage ist etwa, haben beim Zugang zu Arbeitsplätzen alle die gleichen Chancen? Sind Alter, Behinderung oder Herkunft ein Ausschlusskriterium? Die anonymisierte Bewerbung hat sich da nicht so richtig durchgesetzt. Im Arbeitsverhältnis sind es Fragen wie „Haben teilzeitbeschäftigte Frauen die gleichen Chancen auf Beförderungen?“ oder „Dürfen Männer gegen den Widerstand des Chefs Elternzeit nehmen?“ Sexuelle Belästigung ist ganz klar ein Thema.

Welche Möglichkeiten bietet das Gleichbehandlungsgesetz für Betroffene?
Christine Burmann: Das eine ist die rechtliche Komponente: Laut Gleichbehandlungsgesetz können Betroffene im Falle einer zweifelsfrei nachgewiesenen Diskriminierung Entschädigung verlangen. Das können bei einer Diskriminierung im Beruf, weil jemand den Job wegen einer Behinderung nicht bekommen hat, zwei bis drei Monatsgehälter sein. Weitaus schwerer wiegt häufig die soziale, psychologische Seite: Permanente Herabwürdigung und Ausgrenzung machen etwas mit Menschen, sie hinterlassen eine große Frustration. Es ist wichtig, Betroffenen zuzuhören, ihre Interessen zu vertreten und ihnen konkrete Hilfsangebote zu vermitteln.

Wie können Sie weiterhelfen?
Christine Burmann: Ich nehme jeden Fall sehr ernst und prüfe ihn ausführlich. Ich muss mir natürlich auch die andere Seite anhören, um mir ein umfassendes Bild machen zu können und zu einer seriösen Bewertung zu kommen. Dann kann ich Betroffene auch fachlich kompetent beraten. Ich kann Stellungnahmen einholen und dann einschätzen, ob ich zu einer anwaltlichen Vertretung raten soll. Angesichts hoher Dunkelziffern kommt der Prävention ein hoher Stellenwert zu. Und: Als städtische Antidiskriminierungsstelle gehört es auch zu meinen Aufgaben, strukturelle Diskriminierung in der Stadt zu identifizieren und dagegen vorzugehen. Nürnberg als Stadt des Friedens und der Menschenrechte hat da sehr früh reagiert, als erste Stadt in Bayern ist 2011 diese Stelle eingeführt worden: Mit dieser eigenen Anlaufstelle verdeutlicht Nürnberg, dass die Stadt für die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Menschen eintritt und aktiv gegen jede Form von Diskriminierung vorgeht.   Interview: maj

Kurzbiografie:
Die Stelle der Beauftragten für Diskriminierungsfragen der Stadt Nürnberg wurde zum 1. September 2020 neu mit Christine Burmann besetzt. Die Politikwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Menschenrechte und Diversität war zuvor stellvertretende Frauenbeauftragte der Stadt Nürnberg. Die Anlaufstelle bearbeitet rund 200 Fälle im Jahr. Neben der Einzelfallbearbeitung wird die Aufklärungs- und Präventionsarbeit weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

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