Liebe, Gleichberechtigung und Jungs in Kleidern

Interview mit Buchautor Nils Pickert

Hintergrund

Im Rahmen der Nürnberger Männerwochen 2022 las Autor Nils Pickert in zwei Veranstaltungen aus seinen Büchern "Prinzessinnenjungs" und "Lebenskompliz*innen". Der gebürtige Ostberliner und vierfache Vater arbeitet als freier Journalist unter anderem für den österreichischen Standard, wo er eine monatliche feministische Kolumne hat. Seine mittlerweile drei Bücher - das vierte ist in Arbeit - thematisieren die Freiheit von Geschlechterrollen in Erziehung und Partnerschaft. Matthias Becker, Ansprechpartner für Männer der Stadt Nürnberg, sprach im Vorfeld mit Nils Pickert.

Nils, du schreibst in deinem letzten Buch von 'Lebenskomplizenschaft' - ich frage mich: Wie gehen Liebe und Gleichberechtigung überhaupt zusammen?

Liebe ist das, was wir daraus machen und nichts Unendliches. Sie ist es, die uns durch den Alltag tragen soll, deshalb gehören die Diskussion, wer welche Aufgaben übernimmt und das Bewusstsein dafür, wer zum Beispiel die Schuhgrößen der Kinder im Kopf hat, ebenso dazu wie der romantische Abend an der Hotelbar, wo wir uns gegenseitig erzählen, wie toll wir uns finden.

Was sind denn die Voraussetzungen dafür, damit das gelingen kann?

Wir brauchen mehr Modelle, die Menschen erlauben, sich so zu lieben, wie es ihnen tatsächlich entspricht. Ich habe Paare daran scheitern sehen, dass sie glaubten, es sei unabdingbarer Bestandteil einer Beziehung, gemeinsam in den Urlaub zu fahren oder in einem Bett zu schlafen. Das ist total übertrieben.

Ich bin außerdem nicht der Ansicht, dass man alles 50/50 teilen sollte, aber mittelfristig muss Gleichwertigkeit hergestellt werden. Dabei geht es um komplexe partnerschaftliche Aushandlungsprozesse. Es geht nicht darum in jeder Situation aufzurechnen, etwa, wer wie oft gekocht hat, sondern darum, in eine Wertschätzung zu kommen. Und zur sogenannten Vereinbarkeit von Beruf und Familie möchte ich noch sagen, dass wir fälschlicherweise immer noch danach fragen, wie wir unser Leben der Arbeit anpassen können - dabei ist es genau umgekehrt: Die Arbeit muss in unser Leben passen.

Nicht wenige Paare versuchen, das auf der individuellen Ebene zu lösen…

Individuell ist das aber nicht lösbar, denn dahinter stecken systemische Probleme. Männer werden heute für emanzipatorische Arbeit bestraft. Wir müssen zudem deutlich bessere Erzählungen finden für etwas wie eine Quote: Natürlich ist sie ein unfaires Instrument, aber es dient dazu, eine Schieflage zu reparieren.

Was entgegnest Du Leuten, die dir sagen, das sei völlig weltfremd und naiv?

Diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, sind meist dieselben, die ihrerseits mit der gesellschaftlichen Entwicklung nicht Schritt halten können. Es ist zum Beispiel nicht weltfremd, dass wir geschlechtsneutrale Toilettenbereiche schaffen - das macht die Bahn schon immer so. Und all diese Dinge sind im Übrigen kein Nice-to-have: Wir haben einen selbstgemachten Fachkräftemangel, weil wir Frauen jahrzehntelang erzählt haben, welche Jobs sie sich nicht zutrauen dürfen und Männern, dass sie sich einen Zacken aus der Krone brechen, wenn sie in Kitas auf kleine Kinder aufpassen.

Können aber nicht auch Frauen Antifeministinnen sein – nach dem Motto:

Was soll denn schlecht daran sein, wenn der Mann das Geld verdient und die Frau sich um die Kinder kümmert?

Generell kann auch bei klassischer Rollenteilung Gleichberechtigung herrschen – sie ist nur viel schwerer herzustellen. In diesem Fall muss sich beispielsweise der Mann konsequent um die Altersvorsorge der Frau kümmern. Patriarchat ist ja nicht die Herrschaft der Männer, sondern die des männlichen Prinzips. Wesentlich ist zu erkennen, dass es in dem System Gewinnerinnen und Verlierer gibt, und Frauen, die sich dem System andienen, tun dies, um sich Vorteile zu verschaffen. Generell sollten Frauen umgekehrt aber auch Männern misstrauen, die sich als Feministen nach vorne spielen. Und es gibt keinen schlechteren Zeitpunkt für die Setzung eines Themas als am Ende eines Textes über Gewalt gegen Frauen zu betonen, es gebe im Übrigen auch Gewalt gegen Männer.

Lass uns auf die Partnerschaften zurückkommen:

Um hier Gleichberechtigung herzustellen, bedarf es immer wieder des Gesprächs und der Aushandlung. Wie gelingt das?

Das ist tatsächlich deshalb gar nicht so einfach, weil Männer in diesen Aushandlungsprozessen an ihre eigenen Bedürfnisse kommen müssen, und das fällt ihnen mitunter sehr schwer. Hilfreich sind in jedem Fall die vier Ws: Wertschätzung, Wissbegier, Wandelbarkeit und Wahrhaftigkeit.

Vielen problematischen Rollen-Erzählungen begegnen Kinder ja schon ganz früh - wie können wir das aufbrechen?

Ich möchte vorwegschicken, dass Geschlechterstereotype nicht nur eine Zwangsjacke sind, sondern uns in immer unübersichtlicheren Gesellschaftsrealitäten auch stützen.
Deshalb kann es etwa nicht darum gehen, geschlechtsneutral zu erziehen. Wofür ich plädiere, ist, insbesondere Männer dazu einzuladen, diese Rollenvorgaben so weich und antastbar wie nur möglich zu machen. Denn dann kann ich sie auflösen, ohne selbst in eine Identitätskrise zu stürzen.

Eines ist auch ganz wichtig: Eltern machen sich primär Sorgen, wenn ihr Kind nicht dem Stereotyp entspricht, dass es gehänselt wird, Nachteile hat, Gewalt erleidet. Das müssen wir ernst nehmen, gleichzeitig zum Beispiel als Verantwortliche in Kitas auch deutlich machen, dass es egal ist, wie stromlinienförmig man Kinder erzieht: Man kann sie nie davor schützen, Opfer zu werden oder auch Täter. Denn letzteres ist bei einer rein an traditionell männlich ausgerichteten Erziehungsnormen früher oder später mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall.

Trotzdem ist ja klar, dass ein Junge, der zum Beispiel im Rock oder mit

lackierten Nägeln in die Kita kommt, viele Kommentare von anderen wird aushalten müssen...

Natürlich. Aber menschliche Gesellschaften werden immer Mittel und Wege zur Diskriminierung finden. Wir sind dazu verdammt und dazu befreit, uns gemeinsam die Gesellschaft auszudenken, die wir für die beste halten.

Diese vielfältigen Aushandlungsprozesse finden manche vielleicht einfach zu anstrengend…

Das stimmt, aber wir dürfen von Erzieherinnen und Erziehern erwarten, dass sie ihren Job auf der Höhe der Zeit machen und das aktiv einfordern – allerdings ohne ihnen etwas vorzuwerfen. Wir alle gemeinsam müssen sehen, wie schlecht es den Jungen geht, die zwar in den Medien jeden Tag erleben, dass Männer aggressiv ihren Platz erkämpfen sollen und gleichzeitig dafür bestraft werden, wenn sie sich genauso verhalten. Wir müssen die Anwaltschaft für die Jungen übernehmen und dürfen das nicht auf Kosten der Mädchen tun. Jede Gesellschaft hat gewalttätige Tendenzen, das haben wir den Männern stets zugestanden. Nun kann es aber nicht sein, dass wir 2022 noch darüber diskutieren, ob auch sie ein Recht auf körperliche Unversehrtheit haben.

Die modernen Männer sollen lieb und nett sein, aber bei Bedarf immer noch gewaltsam Frau und Nation verteidigen können. Männer tun gut daran, ihre Privilegien in dieser Gesellschaft nicht mit Freiheit zu verwechseln. Noch fühlen sich die Privilegien offenbar so süß an, dass dabei der Preis übersehen wird, den sie dafür bezahlen. Häufig ist dann die Midlife crisis der Zeitpunkt, zu dem zum ersten Mal Bilanz gezogen wird – vieles ist dann aber nicht mehr korrigierbar.

Das klingt hart und ernüchternd – blicken wir denn ausschließlich desillusioniert in die Zukunft?

Nein, ich blicke zwar erschöpft und müde in die Zukunft, aber auch mit verbliebener Zuversicht. Wir kommen schließlich aus einer Zeit, in der Frauen kaum Rechte hatten und Männer nicht nur in den Krieg ziehen mussten, sondern im Falle einer Scheidung auch automatisch von ihren Kindern weggezerrt wurden, ganz egal, wie aufopferungsvoll sie sich vielleicht zuvor gekümmert hatten. Das hat sich zum Glück längst geändert, und auch ein Junge, der einen Rock trägt, ist kein Problem. Am Ende der Entwicklung sind wir freilich noch längst nicht angekommen.

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