Spiel-Szene Nürnberg: Die wollen nur würfeln

Spielefans finden in der Stadt zahlreiche Anlaufstellen

Würfel und Spielsteine

Spielfiguren, Würfel und Markierungssteine lassen nicht nur in Nürnberg die Spielerherzen höher schlagen.

Sie würfeln, schlüpfen in verschiedene Rollen und brüten über Strategien: Spielefans finden in Nürnberg zahlreiche Anlaufstellen. Das Deutsche Spielearchiv, Spieleclubs wie „Ali Baba“ und eine aktive Community machen die Stadt zur Spielehochburg.

Im Gewölbe des Nürnberger Pellerhauses ist es gerade nicht ganz geheuer: Finstere Werwölfe treiben ihr Unwesen und machen Jagd auf unbescholtene Bürger. Zum Glück nur bei dem extrem spannenden Spiel „Werwolf“, das schon seit Jahren geradezu unheimlich erfolgreich ist. Unter der historischen Decke des Foyers finden inzwischen erbitterte Würfelschlachten statt, in den ehemaligen Räumen der Stadtbibliothek sind die Rollenspiel-Fans ganz in ihrem Fantasy-Universum versunken, während die Freude von Risiko, Monopoly, Siedler und Co. den großen Saal fest in Beschlag genommen haben. Wieder einmal hat der vom Deutschen Spielearchiv jährlich organisierte „Tag des Gesellschaftsspiels“ bei rund 500 Bürgerinnen und Bürgern eine große Leidenschaft entfacht.

Die Beschäftigung mit Spielen und Spielzeug hat nicht nur das Pellerhaus fest im Griff, sondern auch die gesamte Region. Schon seit Jahrhunderten punktet Nürnberg mit dem Ruf, eine der weltweit führenden Hochburgen für Spielwaren zu sein. Von den schon im 14. Jahrhundert belegten Puppenmachern über die lange Zeit weit über Nürnberg hinaus gerühmten Spielwarenhersteller bis hin zu Namen wie Schuco, Bing und den großen Nürnberger Modelleisenbahnfirmen lässt sich eine Tradition zeichnen, die immer noch große Strahlkraft besitzt. „Nürnberg ist die Hauptstadt der Spielwaren“, begründete erst in diesem Jahr Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des Deutschen Verbands der Spielwarenindustrie (DVSI), den Umzug des DVSI in die Noris. Neben der Stadtgeschichte nannte Brobeil auch die Spielwarenmesse, die zahlreichen regionalen Spielzeug-Produzenten, das Nürnberger Spielzeugmuseum und nicht zuletzt das Deutsche Spielearchiv Nürnberg als Belege dafür, dass die Stadt auch noch in der Gegenwart die Adresse Nr.1 für alle Spielzeug- und Spielefreunde darstellt.

Dem möchte Ernst Kick als Vorstandsvorsitzender der Spiewarenmesse natürlich nicht widersprechen: „Es ist das Zusammenspiel von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen rund um das Spielen, die alle zusammen Nürnberg als die Stadt des Spielens im weltweiten Bewusstsein verankern“, stellt er fest. Nicht nur die Spielwarenmesse als absoluter Pflichttermin für alle Branchenvertreter schlage hier zu Buche, sondern auch das Spielzeugmuseum als Touristenmagnet und die zahlreichen Veranstaltungen im Kalender, bei denen das Spiel als ernstzunehmendes Kulturgut gewürdigt wird.

Gerade die Messe als weltweit führende Veranstaltung dieser Art ist laut Kick immer wieder ein Kristallisationspunkt für entscheidende Impulse gewesen, die die Spielzeug- und Spielelandschaft bis heute prägen. So entstand die Idee für den Preis „Spiel des Jahres“ 1978 in einer privaten Gesprächsrunde am Rande des Branchentreffens. Diese Auszeichnung gilt bis heute als eine der wichtigsten Kaufempfehlungen auf dem deutschsprachigen Markt. Eng verknüpft mit der Messe ist auch das Nürnberger Spielefest, das Verbände und städtische Einrichtungen alljährlich in den Zeiten der „International Toy Fair“ gemeinsam organisieren und das den gut 2000 Besuchern die Möglichkeit bietet, brandneue Spieleideen auf Herz und Nieren zu prüfen.

Bildergalerie „Die Wollen nur Würfeln“

Eine zunehmend wichtige Rolle hat in diesem Reigen das Deutsche Spielearchiv Nürnberg, im Grunde auch eine Nürnberger Erfindung: Der Spielekritiker und Medienwissenschaftler Bernward Thole, der es 1985 ins Leben rief, hätte diese Sammlungs- und Dokumentationsstelle für deutschsprachige Brettund Gesellschaftsspiele von Anfang an gerne in der Noris gesehen. Allerdings ließ sich diese Idee damals nicht verwirklichen, weshalb das Archiv zuerst in Marburg seine Heimat fand. Nach dem Ende der Zusammenarbeit mit dem Verein „Spiel des Jahres“ war die Zukunft des Archivs ernsthaft bedroht, bis sich die Stadt Nürnberg im Jahr 2009 bereit erklärte, die Sammlung von rund 30 000 Spielen anzukaufen und die Arbeit der Einrichtung fortzuführen.

Inzwischen sind drei Teilzeitbeschäftigte, die organisatorisch an das Spielzeugmuseum angebunden sind, im Spielearchiv tätig. Auch die Spielwarenmesse unterstützte das Archiv beim Neuanfang in Nürnberg finanziell und ideell. Ernst Kick freut sich vor allem über die rasche Entwicklung der in erster Linie wissenschaftlich orientierten Einrichtung zu einem lebendigen Spielezentrum: „Das war genau unsere Forderung, als wir uns gemeinsam mit dem Spielzeugmuseum dafür einsetzten, dass der reiche Spielefundus von Bernward Thole von der Stadt Nürnberg übernommen wird.“

Nach einer ersten heimatlosen Phase, während der die Spielekisten im Depot warten mussten, wurde das Pellerhaus als neue Heimat des Archivs auserkoren. Auch der Spieleclub „ Ali Baba“ fand hier eine neue Bleibe. Vor allem durch die ehrenamtliche Hilfe seiner Mitglieder bei den Archiv-Aktivitäten ist er mittlerweile zu einer unentbehrlichen Stütze geworden. Es ist allerdings noch nicht ausgemacht, ob dieses neue „Spielezentrum Nürnberg“ auch dauerhaft Bestand hat. Bislang befindet es sich im Status einer Zwischennutzung, da über die endgültige Verwen- dung des sanierungsbedürftigen Pellerhauses noch nicht entschieden wurde.

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Viel zu tun: Das Team des Deutschen Spielearchivs (Christin Lumme, Torsten Lehmann und Stefanie Kuschill) hat den Überblick über Zehntausende von Spielen.

Während montags und freitags bei den Vereinsabenden von „Ali Baba“ kräftig die Würfel rollen, haben tagsüber die mittlerweile drei Spielearchiv-Mitarbeiter alle Hände voll zu tun, die Tradition dieser Institution fortzuführen. „Seit Frühjahr 2014 ist der Umzug der Spiele abgeschlossen“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter Torsten Lehmann. Bei der Sichtung und Generalrevision sei man „schon beim Buchstaben Q“, es warte aber noch jede Menge Arbeit. Fernziel ist die Schaffung einer Online-Datenbank, in der Experten schon vor einem möglichen Besuch in den Beständen recherchieren können.

Mitarbeiterin Stefanie Kuschill hat sich von Anfang an vor allem dem „extremen Networking“ verschrieben: Den zeitweilig abgekühlten Kontakt zu Verlagen und zur Fachwelt musste sie wieder mit Leben erfüllen, damit das Archiv auch weiterhin seiner Aufgabe als „Gedächtnis der Spielebranche“ nachkommen konnte. Kein Pappenstiel angesichts von 600 bis 700 Spiele-Neuerscheinungen Jahr für Jahr. Doch die Mühe hat sich gelohnt, und das Spielearchiv Nürnberg steht als anerkannte Institution in der Spielewelt da. Die Anfragen von Wissenschaftlern und Studierenden aus dem In- und Ausland nehmen beständig zu, Autoren hinterlegen ihre Ideen zur Absicherung ihrer Urheberschaft, und 2016 steht mit den „Board Game Studies“ ein renommiertes Treffen von Spieleexperten aus aller Welt an.

Darüber hinaus zeichnet sich sogar die Möglichkeit ab, dass dem Archiv in Zukunft eine wahrhaft staatstragende Aufgabe zuwächst: Dies wäre dann der Fall, wenn Brettspiele den Büchern als Kulturgut gleichgestellt würden und damit einen offiziellen Eintrag in der Deutschen Nationalbibliothek erhielten. Nach einem Antrag der Spieleautorenzunft und der im Verein „Spieleverlage e.V“ zusammengeschlossenen deutschen Hersteller sollte das Nürnberger Spielearchiv in diesem Fall dank seiner hervorragenden Datengrundlage eine wichtige Rolle bei dieser Dokumentation übernehmen. Da das Archiv aber nicht nur eine trockene Forschungseinrichtung sein will, organisiert es seit seiner Neugründung auch immer wieder Spiele-Wochenenden, Ausprobierrunden und Info-Veranstaltungen.

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Es geht auch ohne Brett: Bei einer Partie „Splendor“ taucht eine Spielerunde in fantastische Reiche ein.

„Die sind alle sehr gut besucht, vor allem das seit drei Jahren stattfindende ‚Stadt-Land-Spielt’ ist ein echter Knaller“, schwärmt Stefanie Kuschill. „Das ist eine wunderschöne und leichtfüßige Veranstaltung, die auch Menschen anzieht, die nicht in der Spieleszene aktiv sind“, bestätigt Spielzeugmuseums- Leiterin Karin Falkenberg. Diese nehme für ein Wochenende das vorweg, was sie sich für das Pellerhaus auch in Zukunft wünscht: ein lebendiger Kristallisationspunkt zu sein für Spielfreude in Nürnberg, der für alle offensteht.

Zu den wichtigsten Fundamenten der Nürnberger Szene zählt neben der institutionellen Unterstützung auch ein breites ehrenamtliches Engagement. Ohne die nimmermüden und erklärfreudigen Vereinsmitglieder des Spieleclubs „Ali Baba“ wären viele Veranstaltungen überhaupt nicht möglich. Ein Spielezentrum im Herzen der Altstadt wie das Pellerhaus hätte sich „Ali Baba“-Präsident Christian Wallisch wohl niemals vorstellen können, als er in den 1980er Jahren von einem Freund gebeten wurde, sich um die Organisation einer anfänglich privaten Spielerunde zu kümmern. Anfang der 1990er entstand daraus die Idee, einen Verein zu gründen. „Ich möchte den Spiele-Gedanken auch in die Öffentlichkeit weitertragen“, lautet sein damals gefasster Grundsatz, dem er sich bis heute verpflichtet fühlt. In der gesamten Region gibt es Veranstaltungen, bei denen die „Ali Babas“ mitwirken, darunter auch das Nürnberger Spiele-Fest und die sonntäglichen Spiele-Nachmittage des Spielzeugmuseums. Der Umzug ins Pellerhaus hat sich als echter Glücksfall erwiesen: „Hier fühlen wir uns wohl, haben Platz und repräsentative Räume, obwohl natürlich noch etwas renoviert werden müsste“, sagt der Präsident.

Den offenbar perfekten Mix aus Spiel und Arbeit hat schon seit einigen Jahren Stefan Will gefunden, in der Nürnberger Szene allgemein nur unter dem Namen „Willi“ bekannt. „Wie viele Regeln ich schon im Kopf habe, kann ich beim besten Willen nicht sagen“, bekennt der Experte von „Ultra Comix“. Neben den namensgebenden Bildergeschichten wartet in dem Geschäft in der Vorderen Sterngasse auch ein erstaunlich vielschichtiges Spiele-Sortiment auf die Käufer. „Wir wollen sowohl die Gelegenheitswie auch die Vielspieler gut bedienen können“, sagt Stefan Will. Neben bekannten Klassikern und erfolgreichen Neuerscheinungen sind deshalb hier auch ausländische Spiele und noch weitgehend unbekannte Geheimtipps zu finden.

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Darf es mal etwas Ausgefallenes sein? Auch die Liebhaber von fremdsprachigen und exotischen Spielen werden im Ultra Comix fündig.

Sein Hauptanliegen sieht „Willi“ darin, jederzeit fachkundig beraten zu können: „Nur den Schachteltext abzulesen, ist uns zu wenig.“ Er gibt sein Wissen nicht nur im Laden weiter, sondern auch regelmäßig bei Spielerunden, Spielefesten und Turnieren. Hat er auch ein absolutes Lieblingsspiel? „Das ist schwer zu sagen, denn es gibt in allen Bereichen wirklich hervorragende Spiele. „Wichtig ist mir aber, dass dabei in erster Linie eine Geschichte und nicht nur eine abstrakte Spiel-Mechanik transportiert wird.“

Fast schon so etwas wie ein „Serientäter“ in punkto spannender Ideen ist der Autor Steffen Benndorf, der es in nur zwei Jahren mit dem Würfelspiel „Quix“ und mit dem Kartenspiel „The Game“ auf die Auswahlliste und damit unter die Top Drei beim begehrten Preis „Spiel des Jahres“ geschafft hat. Er ist der Region gleich in zweifacher Hinsicht verbunden: Beide Titel sind beim in Fürth-Dambach ansässigen Nürnberger Spielkarten-Verlag (NSV) erschienen, und der aus Thüringen stammende Benndorf selbst hat sich schon seit geraumer Zeit Röthenbach an der Pegnitz als seine Wahlheimat auserkoren.

In der Fachpresse wird er dank seiner Fähigkeiten, mit erstaunlich wenig Regeln mitreißende Spiele zu entwickeln, als „Meister des Minimalistischen“ gefeiert. „Angefangen habe ich aber mit ziemlich komplizierten Strategiespielen“, berichtet er, „aber von denen wurde keines veröffentlicht.“ Doch auch mit dem Geniestreich „Quix“ klapperte er zuerst ohne Erfolg viele Verlage ab, bevor er auf der Nürnberger Spielwarenmesse die Verantwortlichen des NSV überzeugen konnte. Es könnte gut sein, dass sich diese kleine Erfolgsserie weiter fortsetzt, denn Benndorf fühlt sich hier sehr gut aufgehoben. Und bei der Nürnberger Messe bietet sich für ihn die optimale Gelegenheit, eigene Ideen vorzustellen und außerdem einen Blick darauf zu werfen, was die „Erfinderkollegen“ gerade so in petto haben.

Text: Clemens Helldörfer, Fotos: Christine Dierenbach

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